In die Chatgruppe „Feuerkrieg Division“ postete der damals 13 Jahre alte Nils aus Köln im vergangenen Sommer Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen und einer Maschinenpistole. Der Teenager verbreitete Tötungsszenarien, in seinem Fokus waren Juden, Asylbewerber und Schwarze. Ende August setzte die Kölner Polizei den Schüler fest, durchsuchte sein Kinderzimmer, wertete PC und Handy aus, um ihn dann in die Obhut des Jugendamts zu übergeben. Nils (Name geändert) galt noch als Kind, er konnte strafrechtlich nicht belangt werden. Als einzige Option blieb den Behörden, den mutmaßlichen jungen Rechtsextremisten in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtung unterzubringen.
Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus hochrangigen NRW-Sicherheitskreisen erfuhr, befindet sich der Schüler seit Kurzem wieder bei seiner Mutter. Den Informationen zufolge soll Nils in der Einrichtung nicht von seinen kruden Terrorfantasien abgerückt sein. Es gibt Berichte, er sei ausgerastet und habe randaliert. Verzweifelt sucht die Stadt Köln seither nach einem Platz in einer Nachfolgeeinrichtung, erhielt bisher aber nur Absagen.
Der Fall belegt einmal mehr das Dilemma der Staatsschützer. Gewaltbereite Extremisten werden immer jünger – ganz gleich, ob rechtsextremer oder islamistischer Couleur. „Das Internet und die sozialen Medien dienen gerade bei manchen jungen Menschen zunehmend als Radikalisierungsmaschine. Quasi als digitale Echokammer“, befand unlängst NRW-Verfassungsschutzchef Jürgen Kayser im Gespräch mit dieser Zeitung.
„Ohne Filter ist gerade auf Kanälen wie Telegram oder Tiktok extremistisches Hardcore-Material einfach zu finden. In extremistischen Chat-Gruppen kursiert übelste Hetze, die gerade bei Kindern und Jugendlichen auf fruchtbaren Boden fällt“, erläuterte Kayser. Meist handele es sich um Nutzer mit schwierigen Biografien, etwa Einzelgänger, die sich in der Schule gemobbt fühlten oder im Elternhaus Probleme hätten. „Frust wandelt sich dann schnell in Hass auf die gesamte Gesellschaft. Die extremistische Ideologie bietet das Ventil für die eigene Unzufriedenheit mit dem Leben“, resümierte der leitende Verfassungsschützer. „Die Wut kanalisiert sich auf das Ziel, es allen heimzuzahlen. Im Grunde spielt es keine Rolle, ob diese jungen Menschen durch rechtsextremistische oder islamistische Bauernfänger radikalisiert werden.“
Der 16-jährige Jeremy R. wollte am 13. Mai 2022 in seinem Gymnasium in Essen mit selbstgebauten Sprengsätzen und Schusswaffen möglichst viele Lehrer und Schüler töten. In der Schule galt er als Außenseiter, fiel häufig durch seine rassistischen Sprüche auf. Im Internet fand Jeremy R. seine Helden: den rechtsextremen Massenmörder Anders Breivik aus Norwegen oder den Rechtsterroristen Brenton Tarrant, der bei Attacken in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen erschoss. Immer wieder klickte der Gymnasiast Videos vom Columbine-Schulmassaker durch zwei jugendliche Amokläufer mit zwölf Toten in den USA vor 24 Jahren an. Er selbst plante, sich nach dem Terrorangriff von Spezialkräften der Polizei erschießen zu lassen und in der militanten rechtsextremistischen Szene als Held glorifiziert zu werden.
Nach dem Hinweis eines Mitschülers nahmen Spezialeinsatzkräfte der Polizei am Tag vor dem geplanten Attentat den Essener Teenager fest. In seinem Kinderzimmer fanden sich Armbrüste, Messer und Luftdruckpistolen sowie Material zum Rohrbombenbau. Vor Gericht legte der Schüler ein Geständnis ab. Zudem distanzierte sich der heute 17-jährige Angeklagte von seinen Terrorplänen. Deshalb urteilte der zuständige Staatsschutzsenat milde, verhängte zwei Jahre Haft auf Bewährung samt nachfolgender Therapie in der Jugendpsychiatrie.
Bei der Vorstellung des Jahresberichts im Juni zeigte sich der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, besorgt über die steigende Zahl gewaltorientierter Anhänger in allen extremistischen Phänomenbereichen. Zudem würden die Extremisten immer jünger und seien in der Tendenz „weniger ideologisch festgelegt“.
Der Kölner Teenager Nils fiel schon vor der Durchsuchung seines Kinderzimmers auf. Bereits Monate vor dem Polizeieinsatz im Elternhaus hatte seine Schule die Behörden eingeschaltet, weil er Lehrer bedroht hatte. Der Teenager galt als Sonderling. Ein Einzelgänger, labil, aufbrausend, der durch seine rechtsextremen Sprüche auffiel. Zugleich wurden die Verfassungsschützer in NRW auf ihn aufmerksam, die in einem rechtsextremen Telegram-Chat seine Videos vom Christchurch- und dem Columbine-Massaker entdeckten. Mitunter trat Nils in einer Sieg-Heil-Pose auf.
Nun ist er wieder frei. Gleich zwei Mitarbeiter des Jugendamts kümmern sich um den Problemfall. Nirgends lässt sich eine Unterbringung außerhalb des Elternhauses für Nils finden. „Es ist leider so, dass es bundesweit viel zu wenige Plätze in geschlossenen Kinder- und Jugendeinrichtungen gibt“, beklagt Kira Boden, Leiterin der Kölner Staatsschutzabteilung der Polizei. Die Stadt Köln wollte sich mit Hinweis auf den Datenschutz nicht zu dem konkreten Fall äußern.