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Kaum eine Aufnahme ist so eindrücklich wie das des eineinhalbjährigen Muhammad, ausgemergelt in den Armen seiner Mutter, mit einer Plastiktüte als Windel. Bis auf sechs Kilo sei er wegen der israelischen Blockade abgemagert, heißt es im Beschreibungstext der Bildagentur. Medien weltweit greifen es auf.
Um dieses und weitere Bilder von leidenden Kindern ist ein erbitterter Streit entbrannt: Belegen sie eine Hungersnot in Gaza? Proisraelische Aktivisten und Medien von "Bild" bis "Nius" kritisieren verzerrende Darstellungen. "Es ist eine Kampagne am Laufen, die Israel moralisch vernichten soll", schreibt "Bild". Manche Nutzer in den sozialen Medien nehmen die Debatte um mediale Glaubwürdigkeit zum Anlass, Hunger in Gaza gänzlich zu leugnen.
Der britische Journalist und Israel-Aktivist David Collier stieß jedoch auf einen Arztbrief einer Hilfsorganisation im Gazastreifen aus dem Mai 2025, worin chronische und genetisch bedingte Erkrankungen genannt würden. "Das ist nicht das Gesicht einer Hungersnot. Es ist das Gesicht eines medizinisch gefährdeten Kindes, dessen tragische Situation zur Waffe gemacht wurde", schreibt Collier.
Die Mutter und der dreijährige Bruder wirkten auf anderen Bildern nicht unterernährt, mutmaßt Collier weiter. Viele Internetnutzer und Medien wie "Bild" verweisen auf ihn als zentrale Quelle der Manipulations-Vorwürfe. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) griff die Debatte am Mittwoch in einer Pressemitteilung auf und warnte vor Manipulationsversuchen mit "Fotos von stark abgemagerten Kindern, deren Zustand jedoch offenbar nicht auf die Hungersnot in Gaza zurückzuführen" sei. "Bildredaktion heißt auch Fact-Checking", wird der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster zitiert.
Den vollständigen Arztbrief, der die Debatte mit auslöste, veröffentlichte Collier nicht, teilt ihn aber nach Anfrage mit ZDFheute. Das Foto zeigt einen zerfledderten, handschriftlichen Zettel mit dem Logo einer palästinensischen Organisation, oben rechts ist der Name des Kindes zu lesen. Nicht alle Details des Schreibens können unabhängig verifiziert werden. Tatsächlich nennt der Brief den Befund "Zerebralparese aufgrund Hypoxämie-Insult und in Verbindung stehender genetischer Störung". Weiter heißt es dort aber auch: "erhebliche Unterernährung (…) mit Verschlechterung des Allgemeinzustandes und der Entwicklung." Und:
Patient benötigt Nahrungsergänzung in jeder verfügbaren Form.
Im gleichen Arztbrief, der als Beleg für eine chronische Erkrankung als Ursache herangezogen wird, wird also auch eine akute Unterversorgung explizit genannt.