Nach dem Sommerinterview mit Alice Weidel geht es vor allem um eines – dessen Störung. Das zeigt ein tieferliegendes Problem in unserem Umgang mit Rechtsextremismus.
Der 20. Juli gilt in Deutschland als Tag des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht aber auch Schicksal, dass das ARD-Sommerinterview mit Alice Weidel ausgerechnet am 20. Juli 2025 stattfindet. Ort des Geschehens ist die Dachterrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses. Marie-Elisabeth Lüders war eine Frauenrechtlerin, die von den Nationalsozialisten mit einem Berufs-, Rede- und Publikationsverbot überzogen wurde. Die für mehrere Monate in Gestapo-Haft geriet. Und die zu den 0,3 Prozent der deutschen Bevölkerung zählt, die damals Juden in ihrer Wohnung versteckt haben.
[...]
Es ist bemerkenswert, wie viele CDU-Politiker Alice Weidel zur Seite springen. Nicht aber der Bürgermeisterin in Spremberg. Oder den zahlreichen Menschen, die von Neonazis und Rechtsextremen bedroht werden. Es ist leider kein bisschen überraschend, dass sich Konservative im Fall des Falles eher an die Seite der Rechtsextremen stellen als an die Seite derjenigen, die gegen Rechtsextreme demonstrieren oder von Rechtsextremen bedroht werden. Als sich Anfang des vergangenen Jahres die größten Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik gegen das Erstarken des Rechtsextremismus richteten, reagierten viele konservative Politiker und Journalisten mit Häme und Diffamierung. Einige meinten, wie auch jetzt, dass diese Demonstrationen die AfD eher stärken würden. Auch das erscheint als wiederkehrendes Muster: Während sich Menschen in zivilgesellschaftlichen Bündnissen der AfD entgegenstellen, müssen sie sich von konservativen Politikern anhören, Maßnahmen gegen Rechtsextremismus würden der AfD Vorschub leisten.
[...]
Ich muss an ein Interview des "Spiegel" mit dem Holocaustüberlebenden Ralph Giordano denken. Im Jahr 1992, nach den Anschlägen von Rostock-Lichtenhagen und Mölln sagte Giordano etwas, was sich auch heute noch erschreckend aktuell anhört:
"Die deutschen Konservativen und ihre Führungsriege sind unfähig, sich von rechts wirklich bedroht zu fühlen. Für sie steht der eigentliche Feind immer noch links. Rechts – das sind irgendwie ungezogene Verwandte. Die von Bundeskanzler Kohl im Bundestag geübte Gleichsetzung von linker und rechter Gefahr in einer Situation so eindeutiger Demokratiebedrohung durch rechte Gewalttäter belegt das eindrucksvoll."
Der vielgerühmte Ausruf "Wehret den Anfängen" bedeutet etwas. Er bedeutet, dass man rechtsextreme Menschenfeinde aufhalten muss, solange es möglich ist. Das wäre gegenwärtig der Fall. Wenn es so weitergeht, allerdings nicht mehr lange.