Antisemitismus ist in Deutschland weniger stark verbreitet als vor zwanzig Jahren, zeigt eine Umfrage. Ein Grund für Entwarnung ist das allerdings nicht: Derzeit kommt es im Schnitt zu 29 antisemitischen Vorfälle täglich.
Das Forsa-Institut hat für den "Stern" nach zwanzig Jahren eine große Studie zur Verbreitung antisemitischer Einstellungen in Deutschland wiederholt. Die gute Nachricht: Der Anteil von Deutschen mit latent antisemitischen Einstellungen hat sich seit 2003 von 23 Prozent auf 7 Prozent verringert.
Gleichzeitig haben die Deutschen den Eindruck, dass sich die Stimmung gegenüber Juden in den letzten Jahren verschlechtert habe: 53 Prozent sagen, die Einstellungen gegenüber Juden seien negativer geworden. Das sahen 2003 nur 30 Prozent so.
Der Aussage "Die Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss" - eine Grundannahme des Antisemitismus - stimmten 14 Prozent der Befragten zu. 2003 waren es 28 Prozent. 9 Prozent glauben, durch ihr Verhalten seien die Juden an ihrer Verfolgung nicht ganz unschuldig (2003: 19 Prozent). Fast jeder Vierte (24 Prozent) teilt die Aussage "Viele Juden versuchen aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus heute ihren Vorteil zu ziehen und die Deutschen dafür zahlen zu lassen" (2003: 38 Prozent). Fast jeder Zweite (45 Prozent) will nicht mehr so viel über Judenverfolgung im Nationalsozialismus reden und einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen (2003: 61 Prozent).
Die Zustimmungswerte zu solchen und anderen Fragen wurden herangezogen, um mit einer Formel - wie schon 2003 - den Anteil der latent antisemitischen Deutschen zu errechnen.
Mit einem Prozent ist er bei den 14- bis 24-Jährigen am niedrigsten.
Besonders stark ist der Rückgang bei den über 64-Jährigen - von 40 auf 9 Prozent.
Die Gruppe mit dem höchsten latenten Antisemitismus ist mit 24 Prozent die Wählerschaft der AfD: In keiner anderen Aufschlüsselung - nach Alter, Bildungsabschluss, Berufsgruppe oder Parteianhängerschaft - gibt es einen ähnlich hohen Wert. Mit 13 Prozent ist der latente Antisemitismus unter Personen mit Hauptschulabschluss noch vergleichsweise hoch, außerdem bei dem 50- bis 64-Jährigen (11 Prozent) und bei den Anhängern der Linken (11 Prozent).
Experten sehen in den abnehmenden Zustimmungswerten keinen Grund für Entwarnung. Das Bundeskriminalamt registrierte in den Wochen nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober einen deutlichen Anstieg antisemitischer Straftaten. Das Eskalationspotenzial sei hoch, so die Behörde. Auch zivilgesellschaftliche Meldestellen berichten von einem Anstieg antisemitischer Vorfälle. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) erfasste nach dem 7. Oktober im Schnitt 29 antisemitische Vorfälle pro Tag.
Der Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, Samuel Salzborn, sagte dem "Stern": "Der harte Kern der Antisemiten wird radikaler, brachialer, unter Umständen auch gewaltbereiter." Deshalb reiche es nicht aus, keine antisemitischen Positionen zu vertreten, die Mehrheit müsse sich auch aktiv dagegen positionieren, so Salzborn. "Sonst prägen diejenigen, die aggressiver werden, sehr viel mehr die öffentlichen Debatten."
Danke fürs schauen😃