Hallo zusammen,
ich muss einfach mal was loswerden, dauert auch lang. Falls ihr es euch antun wollt, nimmt euch ein Getränk eurer Wahl und setzt euch hin, der alte Mann erzählt.
Ich bin nun 38, seit ca. 4 Jahren habe ich mit Depressionen zu tun. Davor kannte ich das Problem, aber wusste nicht, dass es nicht normal ist dunkle Gedanken zu haben, ich bin davon ausgegangen, die hat jeder mal.
Ich war im Krankenhaus, Tagesklinik, Psychotherapie, Spezialtherapie, Reha und nun gehe ich meine zweite Psychotherapie an.
Ist es besser geworden? Nein. Diagnostiziert ist bei mir eine Doppeldepression, also eine dauerhafte, chronische Depression und ab und zu setzt sich da noch eine "ordentliche" Depression drauf.
Wahrscheinlich schon seit der Kindheit habe ich Prägungen bekommen (ich empfehle den Film Alles steht Kopf 2) und danach lebe ich auch heute noch. Ich kenne die Prägungen, weiß logisch, dass ich es anders machen müsste, aber mach es trotzdem nicht. Dies frustriert natürlich zusätzlich.
Dazu denke ich gerne in extremen, auch wenn ich dann weiß, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt.
Mittlerweile bin ich auch temporär Teilerwerbsminderungsrentner, wurde beim alten Job entlassen und arbeite nun Teilzeit.
Zuhause wartet Frau+2 Kinder auf mich und ein eigenes Haus + Garten + Viecher. Es stresst mich immens und ist mir mehr als nur zuviel, ich will nicht nach Hause. Ich will zuhause nicht drüber reden, weil man nicht verstanden wird.
Es ist mir alles zu viel.. und ich meine mit alles: alles.
Ich will, nur noch da sitzen/liegen und einfach existieren, dass alleine verlangt mir aktuell so sehr viel ab. Die Kinder haben das bei weitem nicht verdient und meine Frau auch nicht. Es ist nicht förderlich so zu denken, aber ich denke trotzdem so.
Konflikte, auch wenn sie mich nicht betreffen, sondern einfach nur "spürbar" im Raum sind, machen mich komplett fertig.
Aktuell ist es wieder schlimm. Ich nehme Medikamente, aber da werde ich auch dran schrauben müssen.
Ich weiß, dass ich unbedingt etwas tun müsste... ich hab 0 antrieb.
Dazu hab ich keine Ahnung was mir "Spass macht". Dinge von Früher habe ich alle ausprobiert, ich fühle mich wie in einer Sackgasse.
Die Logik sagt: Mach einfach verschiedene Ding, einfach machen, auch wenn du erstmal keine Lust hast und es Überwindung kostet, es könnte Spass machen, also tu es. Logik siegt leider seltenst.
Wachtherapie hab ich nun einige male gemacht (ca. 36h wach bleiben), das hat tatsächlich bei den ersten beiden malen was ausgemacht, ich hatte sowas wie positive Stimmung. Das war für mich außerordentlich wichtig, denn dadurch weiß ich, dass ich noch etwas fühlen kann.
Apropo fühlen: Das kann ich sehr gut, jedoch nur negativ, ins positive kann ich es nicht. Und leider schaffe ich es auch nicht zu weinen, selbst wenn Freunde versterben.. so gerne ich weinen würde um diesen "Druck" abzulassen, ich schaffe es nicht.
Nun stehe ich hier mit meinen kurz vor 40 und blicke zurück und denke: Wie willst du nun weiter machen?
Und ich denke nur in extreme.... In Österreich haben sie schon 2 mal ein Eremit gesucht.....
Danke fürs lesen von diesem geistigen Ausguss....
Fragen werde ich eventuell lieber als direkte Nachricht beantworten, falls jemand welche hat.
Ich hab bestimmt das ein oder andere Vergessen, sehts mir bitte nach.
Da die anderen beiden Kommentare irgendwie eher "stell dich nicht so an" sind, hier ein anderer Kommentar: du leidest an einer (oder mehreren) Krankheit(en). Da hilft es nichts zu sagen "stell dich nicht so an". Mit einem gebrochenen Arm sagt dir auch keiner "du muss es nur wollen, dann kannst du auch einen Liter Milch heben". Nein, kannst du nicht, der Arm ist gebrochen, das überwindet man nicht mit Willenskraft.
Das gilt auch für eine Depression. Die muss man heilen, so wie man andere Krankheiten heilt. Die schlechte Nachricht? Das kann dauern, keiner kann dir sagen wie lange. Kann dir aber auch keiner bei einer Erkältung oder Grippe verlässlich sagen. Die gute Nachricht? Mit Behandlung (und die scheinst du ja zu machen) kann das aber geheilt werden.
Storytime: meine Mama hatte ne schwere Depression inklusive Suizidversuch. Irgendwann zu Beginn meiner Pubertät war dieser Höhepunkt erreicht. Ich hab danach jahrelang meine Mutter nur in stationären Therapien, auf dem Esszimmerstuhl und im Bett im Kopf. Wenn sie sich mal geduscht hat, war das ein Highlight, ein richtig guter Tag. Medikamente, Therapie, diesdas. Ich habe als Zuschauer oft gedacht, so wie man das manchmal bei Pflegebedürftigen am Ende des Lebens denkt: es wäre weniger Leid für sie, wäre ihr Suizidversuch erfolgreich gewesen.
Aber ich habe auch gelernt: der Scheiß ist heilbar. Sie ist da gesund, als die aktive Frau, die ich aus meiner Kindheit kannte, wieder herausgekommen und jetzt eine tolle, aktive, glückliche Oma für meine Kids.
Was hat es dazu gebraucht? Einmal natürlich eben die Behandlung der Krankheit durch Fachpersonal. Aber die zweite wichtige Komponente: mein Vater, der in der Zeit übermenschliches geleistet hat, aber vor allem akzeptiert hat, dass es eine Krankheit und nicht nur eine "Attitüde" ist, und der daran glaubte und mitgewirkt hat, dass man den Scheiß heilen kann.
Bogen zurück zu dir: hier sehe ich den kritischsten Punkt deiner Erzählung, wenn du sagst
Ich weiß nicht, wie genau das gemeint ist. Menschen, die das nicht kennen, verstehen Depressive sehr oft nicht. Das ist an sich nicht schlimm, so lange sie das Unverständnis nicht in die typische "stell dich nicht so an"-Mentalität übersetzen. Und das ist der kritische Punkt. Deine Frau muss dich und deine Gedanken nicht verstehen (im Sinne von Nachvollziehen), aber sie sollte begreifen, dass das eine zu behandelnde Krankheit ist. Und wenn sie Interesse daran hat, diese Krankheit zu bekämpfen, dann dementsprechend handeln, das beschleunigt die Heilung ungemein, wenn das Umfeld mithilft. Da gibt es viele Ressourcen zu, wie Angehörige mit Depressiven umgehen sollten, um eine Heilung zu unterstützen.
Und dann zum Schluss, auch wenn es platt klingt: gute Besserung. Das klingt im Anbetracht der schrecklichen Gedanken und trüben Aussichten einer Depression immer lächerlich, aber ist auch als Erinnerung gemeint: das ist eine Krankheit, die man heilen kann. Am anderen Ende der Heilung wartet ein halbes Leben darauf glücklich gelebt zu werden!
Ich vergleiche es tatsächlich gerne damit, wie man mit einem gebrochenen Bein gesagt: du musst nur laufen.
Und ein gewisser Teil stimmt auch. Man soll ja Sachen machen obwohl jede Zelle eines Körpers(eher Kopf) nein schreit. Das ist halt die Konfrontationstherapie. Passt nicht bei allen. So ist das bei hyperfunktionalen Depressiven es nochmal komischer. Sie können aufstehen morgens, sie gehen duschen, aber trotzdem sieht jeder vorbeikommende LKW so aus, als würde er einen leicht anlächeln.
Vielen Dank für das teilen deiner persönliche Geschichte. Ich kann mir kaum vorstellen wie hart es für dich war, dass mit zu erleben. Dies würde ich gerne meinen Kindern ersparen. Aber sie(ihr) habt es geschafft die Krankheit zu heilen.
Ich gehe weiter, gehe jetzt in eine weitere Psychotherapie die nochmal was anderes probiert. Aufgeben tue ich nicht, ich werde weiter Leben, die Frage ist nur "wie".
Und nun gehe ich auf den wichtigsten Punkt ein, den du gut aus meiner Erzählung rausgezogen hast.
Ich habe nach wie vor nicht den "Mut" zuhause Tacheles zu reden und zu sagen, dass ich die Kinder nicht aushalte, ich einfach erstmal nur in Ruhe gelassen werden will um wieder auf ein Maß zu kommen, in dem ich wenigstens wieder funktioniere. Warum weiß ich selber nicht, ahne nur, das es ist, weil es ja ein Konflikt bedeuten könnte..... Den es aber brauch...
So bevorzuge ich mein "Siechtum" gegenüber einem Konflikt. Es ist dumm, aber genau das passiert aktuell.